Marlies Klassen
 
 
 
 

 

 

Hänsel und Gretel nach dem Text der Oper von Engelbert Humperdinck


Es war einmal ein armer Besenbinder, der lebte mit seiner Frau und zwei Kindern in einer dürftigen Waldhütte. Die Kinder hießen Hänsel und Gretel. Die Familie war arm und der Vater hatte schon lange keine Besen mehr verkauft. Schon seit drei Wochen hatten die Kinder nur trockenes Brot gegessen und Wasser getrunken, als die Mutter sagte: Ich gehe in den Wald um Reisig und Holz zu holen für den Ofen, dann haben wir es wenigstens warm. Ihr räumt in der Zeit das Haus auf und wenn ihr damit fertig seid, bindest du Besen, Hänsel, und du strickst Strümpfe, Gretel!“ Als die Mutter weg war, dachten Hänsel und Gretel gar nicht daran gleich an die Arbeit zu gehen, sie wollten lieber miteinander spielen, scherzen und tanzen. Da ging es lustig zu im Haus, denn Gretel sang so gern und sie tanzte so gern (Brüderlein, komm tanz mit mir, singen und tanzen). Eine Nachbarin hatte einen Krug mit Milch gebracht, und Gretel freute sich schon auf den Milchreis, den die Mutter am Abend kochen könnte. Als die Kinder noch fröhlich miteinander spielten und scherzten, kam die Mutter nach Hause und schimpfte ganz schrecklich: „Ihr bösen Kinder, ihr habt überhaupt nichts aufgeräumt, keine Socken gestrickt, und keine Besen gebunden. Es ist einfach furchtbar!“ Und in ihrer Wut stieß sie den Milchkrug um, der zerbrochen auf dem Boden landete, und die Milch war auch weg. Die Mutter gab aber auch noch den Kindern die Schuld an diesem Unglück, und schickte sie in den Wald um Erdbeeren zu sammeln. „Ihr kommt erst wieder zurück, wenn der Korb bis zum Rand voll Erdbeeren ist!“ Als die Kinder das Haus verlassen hatten, setzte sich die Mutter voller Gram an den Tisch, legte ihren Kopf auf ihre Arme und schlief ein.
Bald kam der Vater gut gelaunt und singend nach Hause (Trallala, ... singen). Er hatte Besen verkauft und Essen mitgebracht. „Schau, was ich mitgebracht habe: Speck und Butter, Mehl und Würste, 14 Eier, Bohnen, Zwiebeln und sogar ¼ Pfund Kaffee!“ War das eine Freude! Als die Mutter aber erzählte, dass sie die Kinder in den Wald geschickt hatte, war der Vater sehr besorgt, wegen der bösen Hexe, die am Ilsenstein wohnt.
Hänsel und Gretel hatten inzwischen eine Erdbeerstelle im Wald gefunden und pflückten fleißig Erdbeeren. Gretel sang wieder (Ein Männlein steht im Walde, singen), und band sich ein Haarkränzchen. Hänsel freute sich schon über die vielen Beeren im Korb. „Ach, davon würde ich jetzt so gern welche essen“, sagte Hänsel, aber Gretel antwortete: „Das hat uns die Mutter verboten, wir sollen sie alle nach Hause bringen!“ „Ich esse jetzt welche; komm, Gretel, iss mit!“ Oh, die schmeckten so gut, die süßen, saftigen, roten Erdbeeren! Und bald war das Körbchen leer. „Jetzt haben wir sie alle aufgegessen. Was wird die Mutter sagen? Komm, wir wollen schnell neue suchen.“ „Aber es wird schon dunkel ringsumher, da sehen wir bald gar nichts mehr.“ „Ach Hänsel, was sollen wir nun machen?“ Und während der Wald schon unheimlich und dunkel wurde sagte Hänsel: „Gretel, ich weiß den Weg nicht mehr.“ Und dann schimmerte etwas in der Dunkelheit: waren das nur die weißen Birkenbäume, oder ein Weidenstumpf? Nebel zog auch durch den Wald. Aber da war doch eine Stimme? Zuerst sahen Hänsel und Gretel nur die Augen, und dann stand das Männchen vor ihnen und sang ein Lied: „Der kleine Sandmann bin ich, und gar nichts Arges sinn ich, ich streu euch Körnlein in die Augen, dass ihr schlaft in sanfter Ruh. Aus hoher Himmelsferne wachen über euch die Sterne und holde Träume bringen euch die Engel. Drum träume, träume, Kindelein, holde Träume bringen euch die Engelein.“ Da wurden Hänsel und Gretel ganz müde, sie falteten vor dem Schlafen noch die Hände und beteten ihren Abendsegen, dass Gott sie in dieser Nacht behüten möge. Dann ließen sie sich auf den Waldboden sinken, auf weiches, grünes Moos und Arm in Arm verschlungen, schliefen sie ein.
Am Morgen, als es schon wieder hell, aber noch etwas nebelig ist, wachen die Kinder auf. Zuerst wissen sie gar nicht, wo sie sind. Ach ja, im Wald, unter einer Tanne haben sie geschlafen. Und beide hatten einen wunderschönen Traum, Gretel erzählt von einer goldenen Leiter, die sich aus dem Himmel neigte, darauf Engel hernieder stiegen, mit goldenen Flügeln. War das ein Rauschen und Klingen, und ein himmlisches Singen. Vierzehn müssen`s gewesen sein, erinnert sich Hänsel, und dorthin sah ich sie geh`n. Und als der letzte Nebel sich lichtet, erscheint genau dort im glitzernden Licht der Sonne tatsächlich etwas: ein Knusperhäuschen.

Das Knusperhäuschen am Ilsenstein. Überrascht und neugierig gehen die Kinder langsam auf das wundersame Haus zu. Was ist das für eine Pracht! Lebkuchen, Zuckerwerk, Rosinen und Kuchen. Die Dachrinne ist sogar aus Nussschokolade. Haben die Engel aus dem Traum die Beiden hierhergebracht? Hänsel fängt als Erster zu knuspern an. Und dann knuspert auch Gretel vorsichtig. Ach, das schmeckt ja himmlisch! Wohnt da drinnen in dem Haus vielleicht eine Waldprinzessin? Plötzlich hören sie eine Stimme: Knusper, knusper knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen? Dem Hänsel fällt vor Schreck ein Stück Kuchen aus der Hand, aber Gretel singt zaghaft: Der Wind, der Wind, das himmlische Kind. Bald naschen die Kinder weiter von den Leckereien. Die Stimme ertönt wieder, aber was macht das schon?
Und plötzlich steht da die Hexe, greift den Hänsel und die Gretel und hält sie ganz fest.
„Ich bin Rosine Leckermaul, bin menschenfreundlich gesinnt und Kinder hab` ich besonders lieb, so lieb, so lieb, zum Aufessen lieb. Kommt mit in mein Häuslein, ihr sollt`s gut bei mir haben, drinnen will ich euch köstlich laben: Schokolade, Torten, Marzipan, Kuchen, gefüllt mit süßer Sahne, Johannisbrot und warmer Reisbrei, auf dem Ofen steht er, Rosinen und Feigen und Mandeln und Datteln: es ist alles im Häuschen euer eigen, ja, alles euer eigen! Wie Hänsel und Gretel sich auch wehren, es nützt nichts, die Hexe bringt die Kinder in ihr Haus. Mit einem Zauberstab macht sie den Hänsel zuerst müde und sperrt ihn dann in den Käfig. Gretel aber muss im Haus mithelfen. Hänsel soll dick und fett werden und bekommt deshalb ganz viele köstliche Speisen, und dann will die Hexe ihn braten. Aber als die Hexe, die fast nichts mehr sehen kann, den Finger von Hänsel fühlen will, ob er schon dick ist, hält er ihr einen dünnen Stock hin. „Nein, Hänsel, du hast immer noch nicht zugenommen, bist immer noch nicht dick geworden? Egal, morgen wird das Feuer im Ofen angezündet.“ Gretel stellt sich dabei aber ganz ungeschickt an und ruft nach der Hexe, die selber in den Ofen hineinschaut um das Feuer anzuschüren. Gretel gibt der bösen Hexe einen kräftigen Stoß, und drin ist die Hexe, im Ofen, und schwupps, geht die Türe zu. Die Hexe ist gefangen und kann nicht mehr raus. Und als Gretel den Hänsel aus dem Käfig befreit, lodert die rote Flamme im Ofen kräftig hoch!

„Juchhei! Nun ist die Hexe tot, mausetot, und aus ist die Not! Juchhei! Nun ist die Hexe still, mäuschenstill, Kuchen gibt's die Füll'. Nun ist zu End' der Graus, Hexengraus, und der Spuk ist aus!“
Und sie fassen sich an den Händen und tanzen
„Ja, lass uns fröhlich sein, tanzen im Feuerschein,
halten im Knusperhaus herrlichsten Freudenschmaus.
Juchhei, juchhei!“

Und zuletzt packen sie noch allerlei Obst, Nüsse und Zuckerwerk ein, dazu den Beutel von der Hexe mit Gold, Geld und Edelsteinen.
Zuhause können sie von jetzt an ohne Not leben.

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