Marlies Klassen
 
 
 
 

 

 

Die Märchenerzählung: Der neue Morgen


Es war einmal ein Land, in dem war es dunkel. Der Winter war kalt und dunkel gewesen
und als es schon lange Zeit für den Frühling war, schien die Sonne doch nicht und es blieb dunkel auf der Erde. Die Bäume bekamen keine Blüten und keine grünen Blätter. Auf den Feldern wuchs kein Halm und auf den Wiesen keine Blume. Der Winter wollte nicht aufhören.

Die Menschen waren traurig und voller Angst. Die Alten erinnerten sich an die Lieder von früher, die von der Dämmerung sangen, vom Morgenrot, vom aufstrahlenden Licht.
„Wann dämmert ein neuer Tag? Wir müssen den neuen Morgen finden!“, riefen die Menschen. Und sie bestimmten einen klugen Mann, der ihn suchen sollte.

Der kluge Mann packte sein Bündel und zog los, er ganz allein. Er wanderte über Hügel und Berge, durch Täler und Schluchten, durch Wälder und Felsenwüsten. Nirgends fand er eine Spur des neuen Morgens. Müde und trostlos kehrte er nach Hause zurück.

Die Menschen waren verzweifelt, sie kamen zusammen, sie weinten und sagten:
„Der Schatten des Todes liegt über uns. Wir müssen alle sterben! Ohne Sonne können wir nicht leben.“ Da fing ein alter Mann zu sprechen an, der auf seinen kranken Beinen kaum mehr humpeln konnte. „Geben wir die Hoffnung nicht auf!“ mahnte er. „Versuchen wir es noch einmal! Wer wagt es und macht sich auf, den neuen Morgen für uns zu finden?“

„Ich!“, sagte eine Stimme in das ängstliche Schweigen hinein, und ein Kind trat in die Mitte.
„Ich möchte es gerne versuchen!“ „Du bist so klein, wie willst du das schaffen?“, fragte der kluge Mann, der keine Spur des neuen Morgen gefunden hatte.

„Ich gehe nicht allein.“, sagte das Kind. „Ich bitte meine Freunde, dass sie mit mir gehen,
den Hahn, die Amsel und die Nachtigall! Lasst mich ziehen!“, bat das Kind so lange, bis die Großen es erlaubten. Sie packten ihm warme Kleider und gute Wünsche ins Bündel, und der alte Mann rief ihm nach: „Denk daran, du darfst die Hoffnung nie aufgeben!“

Das Kind und seine Freunde zogen los. Die Amsel flog hoch über den Bäumen dahin, der Hahn trippelte hinter dem Kind durch den Schnee; die Nachtigall aber, die es lieber wärmer hatte, hockte im Bündel wie in einem weichen Nest. So zogen sie über viele Hügel.
„Ich sehe ein Haus!“, rief die Amsel. „Dort wollen wir um Herberge bitten!“, krähte der Hahn. „Und fragen, wo es weitergeht!“, flötete die Nachtigall.

Im Haus wohnte ein Mann, der wie ein Wildhüter aussah. Er lud das Kind und die Tiere zum Essen und Trinken ein. „Wo ihr den neuen Morgen finden könnt?“, fragte er. „Ja, an den habe ich immer geglaubt, mit großer Sehnsucht. Es heißt, dass man ihn hinter dem großen Wald finden kann. Mein Vater hat mir von ihm erzählt, und ihm hat es der Großvater erzählt.
Der neue Morgen lebt in einem wunderbaren Garten, aber keiner von uns hat ihn je gesehen.“ Das Kind und die Tiere freuten sich, sie aßen und tranken und kamen wieder zu Kräften. So konnten sie mutig weiterziehen. x

Sie verließen den Wald und erreichten das Bergland, immer steiler wand sich der Weg in die Höhe. Ein Fuchs wachte in seiner Höhle auf, schnupperte den Hahn, lugte heraus und fragte: „Nanu?“ „Tu meinen Freunden nichts zuleide!“ bat das Kind. „Wie suchen den neuen Morgen.“ „Soll mir recht sein!“, knurrte der Fuchs. „Lauf nur immer der Nase nach!“ Und er rollte sich zusammen und schlief weiter.

„Seltsam“, flötete die Nachtigall. „Mir ist nicht mehr so bitter kalt.“ Sie kroch aus dem Bündel, schüttelte die Flügel und setzte sich auf die Mütze des Kindes. „Schritt für Schritt!“, krähte der Hahn, wenn das Kind müde wurde und trippelte vor ihm her.

Wie lange ihre Wanderschaft dauerte? Sie wussten es nicht genau. „Drei Mützen, drei Kleider – so lange sind wir schon unterwegs“, sagte das Kind, als es das letzte Gewand aus dem Bündel nahm. Alles andere war ihm bereits in Fetzen vom Leibe gefallen. Nun hatte es nur noch die guten Wünsche im Reisegepäck. Die wogen nicht schwer – im Gegenteil, es schien dem Kind, als hätte es Flügel, die ihm das Gehen leichter machten.

„Nur Mut!“ rief die Amsel. „Auf der Anhöhe dort sehe ich jemanden, der uns weiterhelfen kann!“ Sie kamen zu einem uralten Mann, der wie ein Hirte aussah. Sein Haar glänzte in rosafarbenem Schein. Ein wölkchenzarter Schimmer lag auf seinem Gesicht und spiegelte sich auf dem Gesicht des Kindes. „Den neuen Morgen sucht ihr?“, fragte er. „Ihr seid ihm schon näher, als ihr denkt. Seht ihr die Spitzen des Gebirges? Dahinter wohnt er, ich bin ganz sicher! Dämmergrau und Morgenrot sind seine Boten!“ Er lächelte, und das Kind und seine Freunde zogen mit frischer Kraft voran. Irgendwo hörten sie ein Wasser glucksen, und das Kind bemerkte auf einmal, das weiche Gras unter seinen Füßen wuchs. Als sie das Gebirge überwunden hatten, wehte ihnen ein unbekannter, süßer Duft entgegen, aber den neuen Morgen sahen sie noch immer nicht. Sie setzten sich ins Gras, um auszuruh`n , und sogleich fielen ihnen die Augen zu. Im Traum sah das Kind einen Garten mit blühenden Blumen und blätterrauschenden Bäumen. Ein klarer Bach rieselte hervor und besprühte die Gräser an seinem Ufer. Und mitten im Gras erstrahlte ein freundliches, mildes Licht, das floss näher und näher, als wolle es das Kind umarmen.

Das Kind erwachte aus seinem Traum und weckte die Freunde. „Ich habe ihn gesehen! Ich habe ihn gesehen. Der neue Morgen ist wunderschön und wartet auf uns in seinem Garten! Oh, wenn er uns doch dort wohnen ließe für alle Zeit!“
„Hast du die Menschen und Tiere und Pflanzen vergessen, die auf ihn hoffen?“, fragte die Amsel. Wir müssen den neuen Morgen aus seinem Garten rufen und ins dunkle Land bringen!“ „Aber wie, wie?“, krähte der Hahn. „Vielleicht lockt ihn mein Lied“, flötete die Nachtigall und fing an zu singen, mitten in der Dunkelheit. Die Nachtigall trillerte und schlug, wie eine silberne Glocke klang ihre Stimme. „Komm, komm, komm!“, sang sie. Schritt für Schritt lockte sie den neuen Morgen weiter, und zarte Dämmerung verbreitete sich über das Land.

„Und jetzt du!“, sagte das Kind zur Amsel. Vom höchsten Zweig begann die Amsel ihr Jubellied. Sie sang und pfiff, dass ihre Kehle bebte. Der neue Morgen strahlte, so gut gefiel ihm dieses fröhliche Lied. Er schritt über den Berg und über die Wiesen. Das Kind und seine Freunde eilten dem Wald zu, und der Hahn krähte, so laut er konnte. „Hier bin ich, hier! Willst du nicht zu mir?“ Da wurde der neue Morgen richtig munter und fing zu laufen an.

Mit Macht brach die Sonne durch die Wolken, und der Himmel wurde hell. Die Menschen liefen aus ihren Häusern und sahen, wie das der grauen Finsternis die Farben aufleuchteten. Die Bäume schmückten sich mit Grün, und aus den dämmerblauen Tälern funkelten die Tautropfen auf den Blütenblättern. Noch nie hatten die Menschen des Dunkellandes so etwas Herrliches gesehen. „Willkommen, neuer Morgen! Du lieber Tag, der uns erscheint!“

Am glücklichsten war das Kind, das mit seinen Freunden den neuen Morgen gefunden hatte. Es saß inmitten einer großen Schar zwitschernder Vögel in einem Baum und verstand alle Stimmen rundum: das Rauschen der Blätter, das Flüstern des Grases, das Lied der Grillen und Bienen und den Duftgesang der sonnenwarmen Erde. Seit damals dürfen die Menschen auch in der finstersten Nacht darauf vertrauen, dass ein neuer Tag heraufdämmern wird, und Nachtigall, Amsel und Hahn hören nicht auf, Tag für Tag den neuen Morgen zu begrüßen.


Elternbrief

Liebe Eltern,
in diesem Jahr erwarten wir den Frühling wirklich sehnsuchtsvoll! Nach dem langen und kalten Winter sehnen wir uns nach Sonnenschein und Wärme, nach frischem Grün und nach Blumen. Wir freuen uns auf den Gesang der Vögel und auf das Spielen im Garten.

Mit der märchenhaften Geschichte vom Dunkelland und der Suche nach dem neuen Morgen sind wir eingestiegen in das Thema: „Frühlingserwachen“

Ganzheitlich orientiert und angeleitet, werden wir uns das Thema erschließen, indem wir miteinander singen und spielen, zu-hören und sprechen, in Bewegung kommen und Rollenspiele gestalten sowie Instrumente mit einbeziehen. Die Kinder schauen ein Tischtheater an, werden Anschauungen erleben, mitgestalten und in Interaktion miteinander kommen, eine große Collage malen wir vom Dunkelland, in das der neue Morgen endlich wieder einzog. Dieses große Bild wird sich im Laufe der Zeit verändern. Wir säen Samen aus und machen eigene Beobachtungen, Exkursionen in die Natur fordern die Kinder heraus, den Frühling zu suchen, schließlich backen wir einen Sonnenstrahlenkuchen.

Wir gehen auch auf Ostern zu: Bilderbücher von Osterhasen, anmalen von Ostereiern, lustige Lieder von Stupps gehören dazu, aber auch das Bekanntmachen der christlichen Bedeutung von Ostern und Auferstehung.

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